Fachkommentar: Mag. Pharm. Adelheid Tazreiter |

Die Heilkraft des Wassers

„Ich glaube, dass ich kein Heilmittel anführen kann, das sicherer heilt als das Wasser“ Sebastian Kneipp, 1821 – 1897.

Die besondere Stellung des Geistlichen Sebastian Kneipp in der Naturheilkunde ergibt sich aus der Tatsache, dass er die zu seiner Zeit vielfach in Vergessenheit geratenen positiven Wirkungen von Pflanzen wiederentdeckte und ihnen zu neuer Blüte verhalf.

Er „suchte die alten, verlassenen und vergessenen Kräutlein wieder auf, erprobte ihre Heilkraft und heilte manchen von seinen schweren und langjährigen Leiden“. Doch nicht nur in vielen traditionell verwendeten Pflanzen erkannte er eine gesundheitsfördernde Wirkung, für ihn schickte Gott selbst das „allererste, vorzüglichste und allgemeinste Heilmittel für den Menschen“ auf die Erde – das Wasser.

Wasser weckt im Frühling, wenn es als Regen niederfällt, überall Leben und Gedeihen und es belebt und erfrischt die Körperteile von allen zivilisierten Menschen, die sich damit täglich zu reinigen gewohnt sind.

Für Kneipp lag auf der Hand, dass Wasser zudem geeignet ist, krankhafte Stoffe aus dem Körper auszuschwemmen.

Die Auswirkungen schädlicher Einflüsse können durch Waschungen und Bäder vermindert und die Widerstandsfähigkeit erhöht werden. Kneipp bezog sich auch auf die Erfahrungen der alten Römer, die eine ausgeprägte Badekultur lebten. Das hohe Alter und die enorme Lebenskraft dieser Vorfahren schrieb er der „vernünftigen Anwendung des Wassers“ zu. Eine weitere wichtige Säule für ein langes gesundes Leben sah er in einer naturnahen Lebensweise. Seine Patienten erhielten auch Ratschläge, „wie sie sich nähren, wie sie wohnen, schlafen und sich kleiden“ sollen.

Kneipp selbst erkrankte 1846 schwer an einem Lungenleiden (vermutlich Tuberkulose) und badete – angeregt durch ein Buch von Johann Siegmund Hahn – mehrmals wöchentlich in der eiskalten Donau. Und er wurde gesund.

Waschungen und Bäder gehörten fortan zu seinem Leben und während seines Theologiestudiums begann er auch Kollegen und kranke mittellose Menschen damit zu behandeln. Das Kloster Wörishofen wurde schließlich seine Heimat und mit der Zeit kamen mehr und mehr Hilfesuchende zu ihm, auch zunehmend aus wohlhabenden Kreisen. Es regten sich auch Widerstände gegen ihn, die er jedoch dank seiner unzähligen Heilerfolge entkräften konnte. Aus Wörishofen wurde ein Kurort, dem viel später der Beiname „Bad“ verliehen wurde. Kneipp wurde durch mehrere Vortrags-Reisen in ganz Europa als „Wasserdoktor“ berühmt.

Seine bedeutendsten Werke „Meine Wasserkur“ und „So sollt ihr leben“ werden noch heute verlegt.

3 Jahre vor seinem Tod (1897) gründete er den Kneipp-Ärztebund, der heute wie damals Ärzten eine besondere Ausbildung in Naturheilverfahren anbietet und nach erfolgreichem Abschluss den Titel „Diplom Kneipparzt“ verleiht.

Aus den Grundlagen von Kneipp’s Behandlungskonzept entwickelte sich die klassische Kneipp-Therapie, wie sie auch heute von entsprechend ausgebildeten Ärzten und in bestimmten Kurzentren angewendet wird.

Sie ist ein ganzheitliches Therapie-Konzept, welches 5 Säulen umfasst:

  • Ordnungstherapie: der Wechsel zwischen Aktivität und Ruhezeit ist das Prinzip der Lebensordnung. Es bedeutet Balance zu halten, also auf allen Lebensebenen immer wieder das Gleichgewicht herzustellen.
  • Ernährungstherapie: auf Genussgifte (Kaffee, Nikotin, Alkohol) sollte weitestgehend verzichtet werden. Wichtige Nahrungsbestandteile sollen in Form von vollwertiger Kost, in richtiger Zusammensetzung und durch schonende Zubereitung aufgenommen werden. Mineralien, Vitamine und Spurenelemente sowie pflanzliche Inhaltsstoffe ergänzen die Ernährung.
  • Bewegungstherapie: besteht aus einer aktiven Komponente (z.B. Ausdauersport) und einer passiven Komponente (z.B. Massagen, Reflexzonentherapie).
  • Phytotherapie: Befindlichkeitsstörungen sollten nach Möglichkeit mit pflanzlichen Mitteln geheilt werden.
  • Hydrotherapie: Wasser soll den Organismus zu ordnenden und heilenden Reaktionen veranlassen.

Die moderne Medizin konnte beweisen, dass alle 5 Säulen, im Besonderen die Wassertherapie, geeignet sind, den Körper zu kräftigen. Das Immunsystem wird gestärkt, der Organismus wird mit Umweltreizen und infektionsauslösenden Erregern besser fertig.

Die Kneipp-Wassertherapie kennt über 120 verschiedene Anwendungen. Die richtige Auswahl sollte ein erfahrener Kur- oder Kneipp-Arzt treffen. Die Unterschiede der Behandlungen liegen in der Art der Anwendung und in der „Reizstärke“ sprich Wassertemperatur:

  • 23 – 38 Grad: indifferenter bis geringer Reiz
  • 16 – 22 Grad und 39 – 41 Grad: starker Reiz
  • 10 – 15 Grad und 42 – 45 Grad: sehr starker Reiz

Die eingesetzte Reizstärke richtet sich nach dem Typus des Behandelten, nach der Tageszeit und eventuell vorliegenden Erkrankungen. In geringer Reizstärke eignen sich Wasseranwendungen auch hervorragend für Kinder (Wickel, Bäder, Auflagen).

Beispiele für Anwendungen:

  • Waschungen: sanfter Reiz – nicht anwenden, wenn einem kalt ist. Mit einem Waschtuch wird ein dünner Wasserfilm auf dem ganzen Körper oder Körperteilen aufgetragen. Eventuell auch mit Zusätzen wie Essig, Kräuterabkochungen, ätherischem Öl.
  • Güsse: stärkerer Reiz – ein Wasserstrahl aus einem Schlauch oder dem Brausekopf wird auf einen bestimmten Körperteil oder den ganzen Körper gerichtet. Besonders gut zur Wärmeregulation und für unterschiedliche therapeutische Effekte einsetzbar.
  • Wickel: eine beliebte wieder sehr modern gewordene Anwendungsart, besonders gern für Kinder verwendet. Kalte und warme Wickel. Je nach Therapieziel wird auch ein wenig ätherisches Öl zugesetzt. Wichtig: die richtige Wickeltechnik – beraten lassen!
  • Packungen: schwacher bis mittlerer Reiz. Heublumensack, Kompressen, Topfenauflage, Leibauflagen
  • Dämpfe: Dampfbad oder Kopfdampf mit Heilkräuter-Zusätzen (z.B. Kamille, Pfefferminze, Thymian u.a.)
  • Bäder: alle Reizstärken möglich oder Wechselbäder – oft mit Zusätzen wie Pflanzen-Extrakten, ätherischen Ölen, Salz. Vollbäder, Teilbäder, Sitzbäder, Fußbäder

Diese Anwendungen lassen sich teilweise gut zu Hause durchführen, um dem Therapiekonzept allerdings optimal zu entsprechen, empfehlen sich Aufenthalte in Kuranstalten oder Thermen.

Wer an einer bestimmten Erkrankungen oder Einschränkungen im Bewegungsapparat leidet, sollte nach Möglichkeit eine Kur machen. Für Menschen, die Ihren Körper vorbeugend kräftigen und gleichzeitig in entspannter Atmosphäre ihr Gleichgewicht finden möchten, ist ein Thermenaufenthalt das Mittel der Wahl. Schwimmbecken, Saunen in unterschiedlicher Reizstärke, Dampfbäder, Whirlpool, Infrarotkabinen, unterschiedliche therapeutische Wasseranwendungen sowie Massagebehandlungen und Vitalkost ergeben ein Rundum-Konzept für Erholung und Kräftigung von Körper, Geist und Seele.